Ethik

Ethik III: Reality Bites

Bewertung: 4 / 5

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„Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt!“[1]

Wo findet sich der sich zum „aus sich rollenden Rad“ befreite Mensch wider? Ist er im Paradies und das Drama der Abhängigkeiten ist vorüber? Nein, indem der Mensch in seine eigenen Schuhe steigt nimmt das Drama erst seinen Lauf. Die Wege die er jetzt geht sind seine eigenen Wege. Er schreibt Geschichte – seine Geschichte. Er schreibt sie als Teil einer Gesellschaft die hervorgebracht hat, was er jetzt weiterformt. Er kann nur gestalten, was von dieser Gesellschaft wiederum aufgenommen wird.

Die romantische Vorstellung einer ungebundenen, freien Selbstverwirklichung ist eine Illusion. Der extrem hohe Grad der Standardisierung und Normierung in wirtschaftlichen Prozessen, die hohe und weiter zunehmende Regulationsdichte und das definierte und abgegrenzte Methodeninventar sind die derzeit herrschenden Faktoren. Sie bieten keinen Platz und keine Angriffsfläche für Individuen. Hier treffen zwei Trends aufeinander: Standardisierung und Regulation treffen auf Individualisierung. Es scheint keinen Ausweg zu geben. Ein scheinbarer Ausweg besteht immerhin darin, selbst zu regulieren oder Standardisieren. Aber was ist damit gewonnen? Die Wüste Wächst…

Wie können meine Ideen und meine Visionen in einem Stück Realität Fuß fassen ohne korrumpiert zu werden? Das Tatsächliche ist immer eine Korruption der eigenen Werte und Visionen. Man könnte auch sagen, eine Korrektur derselben. Was ist der Wert meiner Visionen, wenn sie nicht ein Stück Realität befruchten? Wie hat es Goethe formuliert: „Was fruchtbar ist, allein ist wahr.“

Das Drama ist wohl die Geschichte des Spieles zwischen dem moralischen Motiv in mir, dem gestirnten Himmel über mir und den irdischen Tatsachen außer mir.



[1] Nietzsche, F. (1999): Also sprach Zarathustra IV, Die Wüste 2. München/New York: dtv/de Gruyter.